Versorgungsabhängigkeit
Key Words: Dekontamination, Versorgungsautonomie, Dekontaminationsspitäler, Impfstoffbeschaffung, Medikamentenversorgung
Das sicherheitsrelevante Umfeld der Schweiz wird derzeit von Faktoren bestimmt, welche in den vergangenen Jahren an Vielfalt, Komplexität und gegenseitigen Interaktionen und Abhängigkeiten zugenommen haben und deshalb weniger überschau- und vorhersehbar geworden sind. Von den sich abzeichnenden Trends im sicherheitsrelevanten Umfeld der Schweiz können potenzielle Bedrohungen und Gefahren abgeleitet werden, welche auch für die Versorgung im Gesundheitswesen von Bedeutung sein können und werden.
Wenn wir nun in diesem Zusammenhang die möglichen Gefahren für die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung beleuchten, so könnten wir folgendes Bild zeichnen: Die grösste Herausforderung stellen Patienten dar, welche
a) verstrahlt oder radioaktiv kontaminiert sind,
b) chemischen Substanzen ausgesetzt wurden oder
c) biologisch kontaminiert sind.
Diese Patienten haben alle eins gemeinsam: Sie sind in ihrem kontaminierten Zustand eine Gefahr für ihre Umgebung und vor allem für medizinisches Personal, welches sie behandeln muss.
Mit anderen Worten: bevor diese Patienten einer adäquaten medizinischen Behandlung zugeführt werden können, müssen sie dekontaminiert werden. Bis vor einigen Jahren waren die wenigsten Spitäler in der Schweiz auf eine solche Aufgabe vorbereitet. Es fehlten die entsprechenden Einrichtungen und vor allem auch das entsprechende Material. Falls eine Dekontamination grösseren Ausmasses gebraucht worden wäre, hätte die zivile Einrichtung die Armee mit ihren ABC Abwehr Truppen ersucht, einen solchen Einsatz subsidiär durchzuführen. Anlässlich der Fussball EURO 08 wurde an den jeweiligen Austragungsorten in der Schweiz Deko-Systeme der Armee aufgestellt und das notwendige Material vor Ort gelagert.
Einrichtung und Betrieb von Dekontaminationsspitälern
Der Koordinierte Sanitätsdienst (KSD) hatte diese Problematik der fehlenden Versorgungsautonomie schon etwas früher erkannt und damit begonnen, ein Netz von so genannten «Dekontaminationsspitälern» aufzubauen. Das Projekt hatte und hat zum Ziel, ein Netzwerk von Spitälern zu etablieren mit der Fähigkeit, eine Dekontamination bei einem Grossereignis und einem Anfall von vielen kontaminierten Patienten durchführen zu können, um die Patienten anschliessend medizinisch zu versorgen.
Abb 1: Dekontaminationsspitäler
Das Netzwerk im Endausbau sollte eine Versorgungsautonomie in jeder Region der Schweiz ermöglichen, in materieller und personeller Hinsicht. Die Anforderungs- und Leistungsprofile der Dekontaminationsspitäler werden jeweils in individuellen Verträgen zwischen dem KSD und dem jeweiligen Spital geregelt. Erklärtes Ziel dieser Verträge ist es, im entsprechenden Spital eine Versorgungsautonomie für eine definierte Zeitspanne und Anzahl Patienten sicherzustellen. Das Zustandekommen eines Vertrages ist die erste Hürde. Ist diese genommen, müssen die Abmachungen umgesetzt werden. Auch hier geht es im Wesentlichen um die Versorgungsautonomie und damit verbunden die Einsatzbereitschaft. Eine Dekontaminationseinrichtung braucht Räumlichkeiten mit allenfalls nötigen Anpassungen. Aber es braucht vor allem Personal, welches die Einrichtung betreibt und Material, mit dem das Personal ausgerüstet werden muss. Und hier beginnen sehr oft die Probleme mit der Nachhaltigkeit. Das Material muss gewartet und nach einer bestimmten Zeit auch ersetzt werden. Während das Spital die Räumlichkeiten und das Personal in der Regel aus eigenen Ressourcen zur Verfügung stellen kann, braucht es bei der Bewirtschaftung des Materials Geld. Und hier ist in der Regel die Versorgungsautonomie gefährdet, weil in keinem Budget Materialerneuerungen vorgesehen sind. Bei allen Vorteilen des föderalistischen Systems der Schweiz ist die Tatsache, dass das Ressort Gesundheit in die kantonale Hoheit fällt, eher erschwerend für eine gesamtheitliche Lösung.

Abb 2:Dekontamination eines Patienten
Was darf Versorgungsautonomie kosten?
Einmal mehr stellt sich hier die Frage: wieviel Geld soll investiert werden, um bei einem eventuellen Ereignis gewappnet zu sein? Oder anders formuliert: wieviel darf diese Versicherung zur Erhaltung der Versorgungsautonomie kosten?
Für den Fall, dass die kantonalen Mittel nicht ausreichen würden, besteht in der Schweiz die Möglichkeit, Leistungen von der Armee im Subsidiaritätsprinzip anzufordern. Diese Leistungen können materieller und oder personeller Art sein.
Stellen wir uns vor, die Armee wird angefragt, personelle Leistungen im Gesundheitswesen zu erbringen. Die dafür vorgesehenen Truppenangehörigen müssen vorbereitet sein und/oder vorbereitet werden. Worum geht es dabei? Folgende Bereiche sind mindestens zu berücksichtigen: Generelle Ausbildung und ad hoc-Ausbildung, spezifisch auf den vorgesehenen Einsatz zugeschnitten, Hygiene- und Verhaltensrichtlinien sowie der Schutz der eigenen Gesundheit. Und genau bei diesem letzten Punkt kann eine Versorgungsautonomie gefährdet sein. Die Ausrüstung und die Kleidung (äusserer Schutz, je nach Einsatz speziell) müssen vorrätig und einsatzbereit sein. Aber was noch wichtiger ist: der «innere» Schutz. Darunter verstehe ich die nötigen medizinischen Massnahmen, um die Gefährdung des einzelnen Angehörigen der Armee (AdA) zu minimieren. Als erstes sind damit die Impfungen gemeint.
Impfstoffbeschaffung als «Versicherungsabschluss»
Nehmen wir als Beispiel die Grippepandemie von 2009. Die Schweiz hatte im Vorfeld dieses Ereignisses diverse Verträge mit Impfstoffherstellern abgeschlossen und sich dabei finanziell verbindlich verpflichtet. Diese Strategie wurde letztinstanzlich vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) dem Bundesrat vorgeschlagen. Vorgängig gab es wöchentliche Koordinationssitzungen mit allen beteiligten nationalen Partnern, inklusive dem KSD und dem Sanitätsdienst der Armee. Der Bundesrat, der den Entscheid getroffen hatte, den Impfstoff zu beschaffen, handelte im Sinne einer landesweiten Versorgungsautonomie. Andere Nationen mussten nach Ausbruch der Pandemie bis zu einem halben Jahr warten, um den Impfstoff beschaffen zu können. Aber auch die Beschaffung des Impfstoffes war eine Art «Versicherungsabschluss». Man hat klar in Kauf genommen, dass eventuell nicht alle Impfdosen verbraucht werden und verfallen.
Kommen wir zurück zu unserem AdA, den wir für einen speziellen Einsatz schützen müssen. Je nach möglichen Krankheitsgefährdungen müssen andere Impfstoffe gebraucht werden. Wenn es sich um einen nicht alltäglichen Krankheitserreger handelt, so ist es eher wahrscheinlich, dass der Impfstoff nicht vorrätig sein könnte. Dies wiederum würde unsere Autonomie gefährden.
Medikamentenversorgung ist sichergestellt
Schauen wir uns die Situation im Bereich der Medikamente an. Hier ist dank einer voraussichtigen nationalen Planung unter der Federführung des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) die Versorgung mit den wichtigsten Medikamenten sichergestellt.
Aber was ist, wenn ein Erreger in Erscheinung tritt, der mit ganz speziellen Medikamenten behandelt werden muss? Hier besteht die Gefahr, dass die Versorgungsautonomie nicht gewährleistet werden kann. Ist man bei einer Beschaffung vom Ausland abhängig, so spielt sofort die nationale Politik und Schwergewichtbildung eine Rolle.
Gefahrenabschätzung
Um die medikamentöse Versorgungsabhängigkeit im Gesundheitswesen möglichst hoch halten zu können, müssen Analysen der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Stärke der Auswirkung gemacht werden, wie sinngemäss in der Abbildung dargestellt.
Abb 3: Eintrittswahrscheinlichkeiten
Zusammenfassung
Überall, wo es um eine Versorgungsautonomie geht, taucht immer wieder eine zentrale Frage auf: Wieviel Geld darf es kosten oder wieviel Geld bin ich gewillt für eine ununterbrochene Versorgung auszugeben?
Im Kleinen muss sich diese Frage jeder Bürger, jede Familie immer wieder stellen. Wieviel Geld will ich zum Beispiel für die Krankenversicherung ausgeben? Wieviel Risiko will ich selber tragen? Schliesse ich eine Erdbebenversicherung ab, zahle danach 20 Jahre Prämien ein und es geschieht nichts, dann frage ich mich mit Wehmut, was ich alles mit dem Geld hätte machen können. Tritt aber ein Ereignis ein, so hat sich die Investition gelohnt.
Das öffentliche Gesundheitswesen, sei es im Kanton oder auf Bundesebene, hat eine noch etwas schwierigere Aufgabe als der einzelne Bürger oder eine Familie. Bei den Geldern, die man einsetzen muss und will, handelt es sich um öffentliche Gelder und viele wollen und müssen mitbestimmen.
Je mehr Meinungen aber berücksichtigt werden müssen, umso schwieriger wird es, zeitgerecht den richtigen Entscheid zu treffen, in unserem Fall zu Gunsten einer Versorgungsautonomie.